2010-02-27

Letzter Tag, 28.2. "either yes, either no"




“Madam, I can either say yes or either say no”, pflegt unser Fahrer Ebenezer zu antworten, wenn wir ihm eine Frage stellen.
Wir haben die Ghanaische Antwortstrategie verinnerlicht. Würde man uns nämlich fragen, ob uns Ghana gefalle, würde unsere Antwort lauten: „either yes, either no.“
An unserem letzten Tag fassen wir unsere ersten vagen Eindrücke zusammen. Vage!
Ghana (und –wohlgemerkt- wir haben nur einen Bruchteil dieses Landes gesehen) ist ein faszinierendes, geheimnisvolles und durchschaubares Land zugleich.
Die Natur ist üppig, satt, grün, zumindest dort, wo wir waren.
Werte wie u.a. Familiensinn, Teilen, Gemeinsamkeit erscheinen uns deutlich ausgeprägter als in unserem Heimatland.
Die Menschen sind freundlich, herzlich – einerseits („can say yes“) – wir stießen jedoch auch auf unterschwellige Fremdenfeindlichkeit Brunis (Weißen) gegenüber („can say no“).
Doch erscheint uns die Hoffnung auf eine schnelle, wesentliche Änderung nur gering. Die Wahrscheinlichkeit, die Ölfunde vor Ghanas Küste könnten das Land aus seiner erschreckenden Armut führen, wird nach all den vielen Gesprächen, die wir geführt hatten, immer unwahrscheinlicher.
Wer arm ist, wird es auch bleiben. Wer reich ist, wird immer reicher.
Wie sagte uns ein Kenner dieses Landes? Ghana ist ein Unrechtstaat. Jeder ist korrupt, man kann jedes Urteil erkaufen. Die Demokratie steht auf hölzernen Stelzen.
Einer Familie einer Shanti-area (slumartige Gegend) hatten wir versprochen, jene Bilder, die wir vor ein paar Tagen von ihnen gemacht hatten, auszudrucken.
Ebenezer fährt in die Lagune, in der sich die Holzverschläge, Mauerfragmente und Zeltplanen zu einem (Shanti-) Ortsteil verschmolzen haben.
Die Familie, deren Fotos wir nun in den Händen halten, hat sich um die Feuerstelle versammelt. In einem eisernen Kessel brodelt Fufu, in zwei kleineren Töpfen werden winzige Fischhälften frittiert. Fische in Ghana, wissen wir, sind Reste. Die großen, dicken, lukrativen Tiere zappeln in anderen Netzen. Koreaner haben Fischereirechte vor Ghanas Küste aufgekauft, und angeblich hatte auch die EU (!)versucht, in dieser Gegend die hungrigen Mäuler ihrer Mitgliedsstaaten zu stopfen.

Während wir beobachten, wie die Fotos von Hand zu Hand gereicht werden und wie sehr sich die Menschen freuen, während sie sich selbst bewundern, können wir unser eigenes Gefühl nicht orten. Ist es Mitleid, ist es Verwunderung?
"These people are happy that they can live here, because they have electricity”, sagt Ebenezer.
Kleine Kinder spielen Fußball im Sand, sie springen in die Kloake, in der es vor Mückenlarven, Plastikabfällen und Exkrementen nur so wimmelt, sie turnen auf Autowracks umher, sie lachen, sie wirken fröhlich.
Wir fragen uns, was Glück –jenseits kindlicher Unbekümmertheit- ausmacht und schämen uns in Anbetracht des (für uns apokalyptisch wirkenden Umfelds) fast schon der Frage:
Sind diese Kinder glücklich?
Wir finden keine andere Antwort als „can either say yes, either say no.“
Aber eines wissen wir gewiss:
Nigeria und Ghana üben einen Sog aus, dem wir nicht widerstehen können.
Es ist unser letzter Abend in Westafrika, wir schließen diesen Blog und danken all unseren treuen Lesern ………..
die HumanLinks

Freitag, 26.2. Gespräche in Accra




Tag der Gespräche.
Wir sammeln die unterschiedlichsten Meinungen zu Westafrika, insbesondere zu Ghana. Warum ist das Land in seiner Entwicklung dort, wo es eigentlich nicht sein möchte.
Wir sprechen über das Ölvorkommen, das vor Ghanas Küste geortet worden ist. Inwiefern kann und wird es die Wirtschaft bzw. die Armut der Ghanaer verändern? Kann man jene Konflikte, die der Ölreichtum über Länder wie Nigeria und Angola gebracht hatte, in Ghana vermeiden?
Wir sprechen über Tradition, Religion, über Hoffnungen und Visionen. Welche Werte sind die Triebfeder der Zukunft?
Wir reden über die Bedeutung der Zeit, die man der Weiterentwicklung von Wirtschaft, Kultur und Sozialem einräumen kann und darf, um gerecht zu bleiben.

Und selbstverständlich sprechen wir über die Maßlosigkeit, Unfähigkeit und Korruption vieler afrikanischer Regierunsgchefs und ihre Distanz zum Volk. Auch jene Ghanas.

Während unserer Fahrten von Termin zu Termin fotografieren wir die Großplakate auf den Straßen und fragen uns, welche Botschaften bzw. Werte sie vermitteln.

Es ist unser vorletzter Tag in Afrika. Wir verspüren Wehmut.

2010-02-26

Donnerstag, 25. Februar: Kontrollverlust in Accra




HumanLink findet: Ghana ist trotz Armut, Ungerechtigkeit und Korruption ein Lichtblick.
Dennoch muss das Bankenwesen negativ hervorgehoben werden:
Unfreundliches, arrogantes und vor allen ignorantes, ungeschultes Personal.

Heutiges Erlebnis ist stellvertretend für all die anderen Erlebnisse bei ghanaischen Banken:
Schlangestehen: 15 Minuten
Passabgabe an Schalter 1 – Angabe, wie viel Geld man von der Kreditkarte abzuheben beabsichtige: in unserem Fall umgerechnet 515,-Euro.
Bankangestellter von Schalter 1 reicht Pass und Kreditkarte durch kleine Öffnung zu Schalter 2 – der ca. 15 Minuten unbesetzt bleibt.
Bankangestellter von Schalter 2 tritt Dienst an und bemerkt, dass das Kabel des Telefons ein paar Knoten hat. Das Kabel wird entwirrt, man bekommt jedoch den Stecker nicht mehr in den Hörer. Beide Angestellte kümmern sich um das Kabel-Stecker-Hörer-Problem.
Weitere 20 Minuten vergehen.
HumanLink (neugierig, was mit Ausweis und Karte geschieht) wird währenddessen 3 Mal zurück in den Warteraum verwiesen: „we are working on it.“
Wir beobachten den Anruf beim Mastercardsystem. Der Hörer wird nach 3 Sekunden aufgelegt, HumanLink wird an den Schalter gerufen. „Sorry, no money, credit line (Anm.:for safety reasons): 500 Euro.“
Dann eben 500 Euro, sagen wir. „Take a seat“, die Antwort.
Wartezeit: weitere 20 Minuten.
„You come!“ Wir gehen zum Schalter und erfahren, dass unsere Karte angeblich vom Mastercardystem gesperrt worden war. „Call your bank“, empfiehlt der Angestellte.
Wir geben ihm die Hotlinenummer. „We are not a call center“, die Antwort. HumanLink hat nicht genug Credit auf der Prepaidcard, um sich in die Warteschleife von Mastercard zu begeben.
Diskussionszeit von weiteren 10 Minuten: Wir erklären, dass wir 1 Stunde Fahrzeit hinter uns gebracht haben, um zu dieser einzigen Bank zu gelangen, die in Accra Mastercard am Schalter einlöst. Ist egal. Der Angestellte zuckt mit den Achseln.
Die Schlange hinter HumanLink scheint endlos, die Geduld der Wartenden endlich.
„Try calling Mastercard again“, sagen wir. Der Angestellte nickt (nach weiterer 10 minütiger Diskussion), legt den Pass beiseite und kümmert sich um den nächsten Kunden. „When will you call Mastercard?“ fragen wir. „I am working on it.“
Weitere Diskussion (geschätzte 10 Minuten).
“Take a seat”, sagt der Angestellte und löst mit diesen drei Wörtern bei HumanLink den ersten Kontrollverlust seit Reisebeginn nach Westafrika aus.
Das Wachpersonal geht in Stellung.
HumanLink überlegt, ob sich das Warten auf einen Termin mit dem Bankmanager lohnt und beschließt: Ja (hat eigentlich keine andere Chance)
Weitere Wartezeit: 30 Minuten.
Der Bankmanager empfängt. Weitere 10 Minuten vergehen, bevor er uns wahrnimmt (unterzeichnet Schecks, telefoniert usw.).
Zweiter Kontrollverlust von HumanLink (sehr effektiv!)
Binnen 10 Minuten erhalten wir unser Geld, die Businesscard des Managers, mehrfache Entschuldigungen, viel Freundlichkeit und Herzlichkeit.

Am späten Nachmittag auf dem Campus der Universität von Accra eine Gruppendiskussion mit interessanten und interessierten Studenten über die Zukunft Ghanas.

Ausklang des Tages: sensationelles Konzert im bywell mit Gitarristen George Darko. Ein absolutes Highlight, zu sehen, wie sehr man in Afrika mit und für die Musik lebt.
Trotz allem: Wir finden, Ghana ist ein Lichtblick.

2010-02-25

Mittwoch, 24. 2. in Accra






1,55 Billionen US$ Investment der Chinesen in Accras Zukunft.
Für kommenden Monat wird der Spatenstich für ein ebenso großes wie ehrgeiziges und teures Stadtprojekt der Chinesen in Ghanas Hauptstadt angekündigt.
Es trägt den Namen: Gold Coast City Project und soll nach Fertigstellung aus zahlreichen Büroräumen, Villen, Appartementhäusern, Shoppinmall, fünf Sterne Hotel (Kempinski!) und einem 21 Stockwerk großen World Trade Centre bestehen.
Im Daily Graphic finden wir eine Abbildung des pompösen Vorhabens.

HumanLink macht sich auf den Weg in das Gebiet, das einen Teil der Zukunft Accras widerspiegeln soll und in das, will man der Zeitung glauben, demnächst die Bagger einrollen werden.
Gold Coast City, so denken wir irrtümlich, wird an einer bislang unbewohnten Langunge entstehen – die Karte Accras zumindest weist darauf hin – keine Straßen, keine Häuser.

Doch stoßen wir dort auf ein Slum.

10 000 Menschen, schätzen die Slumbewohner selbst, leben dort.
Wir begeben uns in die Gassen der Slums und sprechen mit den Menschen über ihre Zukunft.
Vor über 15 Jahren, so sagen sie, hätten sie die ehemalige „bush area“ wohnbar gemacht – und nun wolle man sie vertreiben. Einfach so.
Die bevorstehende Änderung ist an den Hütten und Mauern erkennbar: Remove now steht überall geschrieben.

Und die Zukunft?
Man vertraut darauf, dass nichts passieren werde, erfahren wir. Leere Worte, Hirngespinste seitens der Regierung und der Investoren.
Gold Coast City Project ist für die Slumbewohner kaum vorstellbar.
Und was passiert, wenn die Bagger tatsächlich kommen? fragen wir.
Man zuckt mit den Achseln.
Was bedeutet schon Zukunft!

2010-02-24

Dienstag, 23.2. Fahrt von Cape Coast nach Accra




Es ist heißer denn je, selbst die Ghanaer stöhnen und schwitzen. „Normally it`s not so hot“, sagen Hotelangestellte. Das Klima ändert sich langsam, bestätigt man allgemein, die Regenzeit beginnt früher als sonst, die Tage sind heißer. Alles durcheinander.
Wir fahren von Cape Coast zurück nach Accra. Die wesentlichen Eindrücke auf der ca. 160 Kilometer langen Straße:

1. Hochsaison des „bush meats“. An der Straße stehen Verkäufer mit Antilopen und Zuckerrohrratten (grass cutters genannt) in den Händen. Sie winken mit den toten Tieren in der Hand den vorbeifahrenden Autos zu.
An anderen Stellen erhält man grass cutters bereits aufgespannt und gegrillt. Eine Rattes reicht für eine vierköpfige Familie (grasscutterstew or soup with fufu or kenkey)
Wir unterhalten uns über die sonstigen Essgewohnheiten in Ghana. „People eat monkeys, dogs, cats, everything they keep in their house. But only in the northern part of Ghana”, sagt der Driver.

2. Mitten in der Einsamkeit finden wir einen Honigladen und kaufen eine schwarze Honigseife, Honigpeanutbutter und selbstverständlich auch Honig.
3. Wir sehen, wie ein hagerer Mann aus dem Gebüsch kommt. Auf seinem Kopf trägt er ein übergroßes Auto aus geflochtenen Ästen. „A man who is mad in his head, he always carries a car on his head“, sagt der Driver.
Ein geistig behinderter Mann, den man hier in dieser Gegend kennt. „It`s getting worse and worse with him.“ Familien von Behinderten erhalten auch in Ghana keinerlei Unterstützung. Die Krankenhäuser gelten zumeist als menschenunwürdig, und zeigen die Eltern eines behinderten Menschen Erbarmen, dann ersparen sie ihren Kindern einen allzu langen Aufenthalt dort – erklärt uns zumindest der Fahrer.
4. Überall am Straßenrand stehen von Toyota gesponserte Schilder, auf denen vor zu schnellem Fahren gewarnt wird, indem man die Anzahl der Toten erfährt.
5. Geier dienen in den kleineren Dörfern als Müllverwerter. Dicht sitzen sie auf den Müllhaufen und picken sich ihren Geierfraß heraus.

Wir erreichen Accra, verbringen, wie so oft zuvor, gefühlte Ewigkeiten in einer Bank, um wieder einmal mehr zu erfahren, dass Banking in Westafrika ein aufreibendes Geschäft ist.
„This is Ghana for you“, pflegt Mawere stets zu sagen, wenn die HumanLinks am Ende ihrer Nerven sind.

2010-02-22

Montag, 22.2. in Cape Coast






Ein zweigeteilter Tag – die erste Hälfte am Computer verbracht, um die Erlebnisse aufzuarbeiten, die zweite unter Palmen.

Wir liegen am Strand, beobachten und denken nach.

Thema Kommunikation drängt sich auf. Wir haben beobachtet, wie holprig die Verständigung zwischen den Menschen sein kann. Zwischen uns und den Ghanaern ebenso wie zwischen den Ghanaern selbst. In der Interpretation des Gehörten ist man stets einen Schritt voraus – oder hinterher. Das führt zu vehementen Missverständnissen, zu Verstimmungen aber auch zu viel Lachen, wenn man Humor hat, und davon haben fast alle Menschen, die wir hier in Ghana und Nigeria kennengelernt haben, reichlich.

Ein anderes Thema, das uns beschäftigt, ist die Gerechtigkeit. Wir fotografieren alle Menschen, die während einer Stunde vor uns am Strand vorbeiziehen.
Jeder trägt eine Last. Die Schwarzen Hölzer und Gefäße auf den Köpfen, die Weißen schwere Bäuche.
Die wahren Lastenträger dürfen das Hotelgrundstück nicht betreten, mehr sogar, sie dürfen mit uns Gästen kein Wort wechseln.

Wessen Gäste sind wir eigentlich?, fragen wir uns. Und wie willkommen sind wir? Eine Antwort finden wir trotz aller entgegengebrachter Freundlichkeit nicht.

Rechts neben unseren Liegestühlen stehen zwei Trommeln. Deren Verkäufer hat sich vor dem Wachpersonal versteckt. Bei bestehendem Kaufinteresse huscht er hinter einem Verschlag hervor und zischt den ersten Verhandlungsbetrag zwischen den Zähnen hervor. Dann verschwindet er – denn das Personal wirft ihm mahnende Blicke zu.
Stunden später sammelt er die beiden unverkauften drums ein und macht sich auf den Weg – irgendwohin.

Zugegeben, das Wetter macht uns träge. Wir sind das schwülheiße Klima nicht gewöhnt, auch nach mehreren Wochen Aufenthalt in Westafrika nicht. Es macht uns träge, schwerfällig, bequem, fast schon lethargisch.
Unsere Gedanken über Gerechtigkeit verschieben wir auf morgen und hoffen (vergebens), unsere Träume erledigen das Unverarbeitete.

2010-02-21

Sonntag, 21.2. Fahrt nach Cape Coast




Wir fahren Richtung Süden.
Viele Kilometer legen wir bestenfalls im Schritttempo zurück. Zeit, um das Leben in den vorbeiziehenden Dörfern zumindest vage wahrnehmen zu können.
Überall sitzen die Menschen in Festtagskleidung auf Plastikstühlen, Reih in Glied und zelebrieren ihren sonntäglichen Gottesdienst. Wir sehen einfache Lehmhütten und feste Häuser, buntbemalte Holzzäune, kleine Kioske, Palmusshaufen, Ziegen, Kinder, die spielen und solche, die ein paar Pilze zu verkaufen versuchen, Spuren heftigen Regens, keine befestigten Straßen, keine Autos.

Wir überfahren den Fluss Pra an einer Stelle, von der man sagt, dort hätten sich die Sklaven vor ihrer Verschiffung das letzte Mal waschen dürfen.
In Mawere schlummert schlechte Stimmung. Er schweigt.

Nachmittags erreichen wir Elmina, einen Ort, der einst als europäischer Militär- und Handelsstützpunkt südlich der Sahara angelegt worden war.
„We African people start to cry when we see this castle“, sagt Mawere, als wir das Fort St. Jago da Mina erreichen. Doch hat diese Festung niemals dem Sklavenhandel, sondern als Militärstützpunkt sowie Arrestanstalt für europäische Verurteilte gedient. Herrschaftlich und abschreckend zugleich, strahlend weiß am Rande winziger Fischerhütten und viel Müll. Im Fischereihafen schwimmen zahlreiche Boote inmitten einer dunkler Brühe voller Abfälle.

Wir sehnen uns nach einer Pause, wollen tief durchatmen, machen Halt am Meer.