2010-02-17

Accra, Mittwoch, 17.2.





Wir packen unsere Koffer, denn morgen fahren wir weiter nach Kumasi, in die zweitgrößte Stadt Ghanas.

Vorher hatten wir uns erkundigt, wieviel Zeit die Fahrt durchschnittlich in Anspruch nehmen würde. Die Zeit erscheint in Ghana jedoch beliebig zu sein, weder endlich noch unendlich, je nachdem in welchem Zusammenhang man an Zeit denkt. So schwanken die Angaben zwischen 4, 6 und gar 8(!) Stunden.
"It depends on the car", sagt Mawere, unser Fahrer. Er selbst benötige nur 3 Stunden.

Fest steht unseren (kurzen) Erfahrungen zufolge, dass Zeit kein Luxusgut ist, vielmehr scheint Luxus zu bedeuten, wenn man keine Zeit hat, weil man beschäftigt ist, Dinge tut, wie zum Beispiel arbeiten.

Beispiel an der Kasse heute im Supermarkt Shoprite: Vor uns an der Kasse steht ein Ghanaer, der geschätzte 35 Tüten Süßigkeiten auf das Band legt. Langsam (sehr langsam) holt er eine Tüte nach der anderen aus dem Korb und breitet sie vor dem Kassierer aus. Dieser wiederum zieht eine Tüte nach der anderen am Scanner vorbei, anstatt sie im Schnellverfahren zu zählen und die Anzahl nebem dem Preis einzutippen. Am Ende des Fließbandes steht der Verpacker, der eine Tüte nach der anderen (gemächlich) in Plastiktüten packt.
Wir warten mit schweren Armen (6 Liter Wasser, 3 Päckchen Nüsse, 8 Orangen und 4 Bananen) gefühlte 15 Minuten. Doch üben wir uns in Gleichmut, denn:

Wir beginnen den ghanaischen Umgang mit der Zeit zu lieben, auch wenn er bisweilen verschwenderisch wirkt. Kommen wir zu spät zu einem Termin, weil wir im zeitraubenden Stau stehen: kein Problem, man hat dennoch Zeit für uns.
Bitten wir bei Gesprächspartnern um einen Termin - haben diese fast immer gerade Zeit ("You can come and visit me right now, later I won`t have time.") Und erwarten wir einen Gesprächspartner zum tea ("see you at four - looking forward"), sind wir froh, wenn er überhaupt kommt.

Wir wissen durchaus, dass wir morgen eine andere Einstellung zur ghanaischen Zeit bekommen könnten:
1. Mawere kommt zu spät, weil er durch einen Stau aufgehalten worden ist.
2. Das Benzin geht unterwegs aus (mitten in der Einsamkeit, wo die Zeit stehengeblieben ist und es weit und breit keine Tankstelle gibt): "Had no time for petrol station, thought I might come too late."
3. Unsere Hotelzimmer sind bereits vergeben, weil wir zu spät in Kumasi ankommen. "Oh sorry, so late? Thought you wouldn`t arrive any more."
4. Beide HumanLinks haben im Accra ihre Kulturbeutel im Hotel vergessen, weil keine Zeit mehr war, die Zimmer zu checken (wie bereits in Lagos passiert).

Mittlerweile ist es 23.15. die Zeit vergeht und drängt zugleich, Koffer müssen gepackt werden, für morgen, für eine unbestimmt lange Fahrt.

Accra am Dienstag, 16.2.




HumanLink auf dem Campus der University of Ghana.
Wir fahren an einem großen Schild vorbei, das vor vorehelichem Geschlechtsverkehr warnt.
Gespräch u.a. mit einem Dozenten der Business School über Gender Role.
Fazit des Meetings: In Ghana dominiert die klassische traditionelle Rollenverteilung, Männer versorgen die Familie, Frauen verzichten auf Karriere und sorgen sich um die Kinder.
Wird sich diese Rollenverteilung in Zukunft verändern? wollen wir wissen.
Auf keinen Fall, lautet die entschiedene Antwort. Und was ist mit jenen Männern, die ihren Job verloren haben?, fragen wir. Diese Männer haben alles andere auch verloren, ihr Gesicht, ihr Ansehen und Selbstbewusstsein. Sie sind nichts mehr Wert, lautet die Antwort.
Doch haben wir von anderer Stelle erfahren, dass ghanaische Studenten, die eine Weile im Ausland studiert haben, eine andere Einstellung zu Lebensstilen und Werten haben als jene Studenten, die Ghana nie verlassen haben.
Gender Role ist folglich ein Thema, das wir eingehender hinterfragen wollen - schließlich prognostizieren die meisten Forscher, dass Frauen in der Zukunft eine immer stärkere Rolle spielen werden.


Wir begeben uns in den Universitäts-Bookschop.

Die dort angebotenen Bücher weisen darauf hin, dass die meisten Bücher, die die Zukunft Afrikas berühren, von der World Bank veröffentlicht worden sind. Die wesentlichen Themen u.a.: Armutsentwicklung, Enegie, Korruption, Migration.
Ghana-spezifische Entwicklungsthematiken wirken für uns relativ veraltet (published um das Jahr 2002) - dieser Eindruck basiert jedoch nur auf einem kurzen Aufenthalt in der Bücherei!

Abends Dinner bei einer ghanaischen Familie. Wir erfahren mehr und mehr über Sitten und Gepflogenheiten.

Ghana, ohnehin ein Land, das schöne Gefühle wecken kann, wird immer sympathischer.